Bin ich trocken oder nüchtern?

Auf den ersten Blick mögen die beiden Begriffe dasselbe bedeuten. Überraschung: Dem ist aber nicht so. Bis ich das begriffen habe und anhand von Beispielen wahrnehmen konnte, vergingen ganze neun Monate. An dieser Stelle sei gesagt, dass dies kein wissenschaftliches Vokabular ist, sondern reine Terminologie der Selbsthilfe-Community.

Zur Trockenheit: Trocken sein ist ein Zustand und heißt, abstinent zu leben. Also der reine Verzicht auf Alkohol. Dieser wird ausgeblendet und mit aller Kraft versucht, die Substanz nicht zu konsumieren. Manche Menschen bleiben Jahre oder Jahrzehnte trocken, werden aber nicht nüchtern – und das zu einem großen Preis: Sie hegen einen Groll, haben Angst, sind nicht ehrlich zu sich und anderen, sind intolerant, verlagern ihre Sucht auf andere ungesunde Dinge wie Fast Food oder zuckerhaltige Getränke und sind mit sich und der Welt nicht im Reinen. Sie bleiben an dem Punkt stehen, an dem sie das letzte Glas Wein, Schnaps oder Bier getrunken haben. Manch eine/r nennt sie „betrunkene Abstinenzler“, weil sie viele Charaktereigenschaften von aktiven Alkoholikern/innen aufweisen.

Der nüchterne Alkoholiker ist ebenfalls trocken, entdeckt aber das Leben aus nüchterner Sicht für sich. Wir arbeiten an uns selbst, lernen uns kennen, finden viele neue Freunde, einen neuen Beruf oder Interessen und sind darüber hinaus mit dem nüchternen Leben zufrieden und vor allem zufriedener. Die meisten meiner nüchternen Freunde – mir inklusive – treiben viel Sport oder Bewegung, meditieren, treffen andere nüchterne Freunde, bilden sich weiter, engagieren sich, haben positive Interessen usw. Wir folgen den Prinzipien des guten Lebens.

Wie anfangs erwähnt, habe ich das erst vor Kurzem begriffen. Geahnt habe ich es schon zuvor. Doch erst die Mischung aus Theorie und Praxis hat mir verdeutlicht, was den Unterschied zwischen trockenen und nüchternen Alkoholikern ausmacht. Wer aktiv in der Community ist, wird dieser Spezies früher oder später begegnen. Mein Umgang damit? Anfangs bildete sich eine Form von Groll in mir. Mittlerweile sehe ich diese Begegnungen gelassener und hoffe, dass diese armen Seelen den gleichen positiven Prozess durchleben dürfen wie ich. Und zwar ein erfülltes und nüchternes Leben entdecken können.

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Dieser Blog dient als Anregung und Inspiration für Menschen, die ein Alkoholproblem haben und informiert allgemein - auf Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen und persönlicher Erfahrung - über die Krankheit. Er ist kein substitut für professionelle therapeutische oder medizinische Hilfe. Wenn Du ein akutes Problem hast oder professionelle Hilfe benötigst, dann wende Dich an einer der dafür vorgesehenen Stellen.