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Habe ich als Alkoholiker ein Problem mit trinkenden Menschen?

Aktualisiert: 13. Dez. 2024




Um es vorwegzunehmen: Nein, ich habe kein Problem mit trinkenden Menschen oder dem Alkohol an sich. Wäre ich in der Lage, mein Trinkverhalten zu kontrollieren, so würde ich es tun. Dies ist mir aufgrund meiner Krankheit aber nicht möglich. Auch diese Erkenntnis war ein Prozess: Anfangs verfluchte ich den Alkohol und die Menschen, die ihn konsumierten. Ich war neidisch, hegte einen Groll und hatte starke Stimmungsschwankungen. Diese Emotionen gärten in mir, und mein Wohlbefinden verschlechterte sich. Besserung erfuhr ich erst, als ich mich einer Selbsthilfegruppe anschloss und mit meinen Gedanken nicht mehr allein war und Gleichgesinnte kennenlernte.


Ich ging mehrere Monate mehrmals pro Woche zu den Treffen meiner Peers, und nach einiger Zeit hatte ich plötzlich das Bedürfnis, andere Freunde wiederzutreffen. Ich wollte Teil eines „normalen“ Lebens sein und mir beweisen, dass ich dazugehören könne, um das Stigma „krank“ abzulegen. Auch dies stellte sich als Trugschluss heraus. Die ersten Treffen mit den Freundeskreisen verliefen reibungslos. Es schien niemand zu merken, dass ich keinen Alkohol trank. Erst im Laufe der Zeit wurde ich mit Fragen und Reaktionen der einzelnen Personen konfrontiert. Was mich am meisten erschütterte, war die Tatsache, dass selbst bei vermeintlich funktionierenden Menschen der Alkohol eine Stellung einnimmt, die nachdenklich machen sollte: „Ohne Alkohol kann man keinen Geburtstag feiern“, „Anstoßen tut man nur mit Alkohol“, „Kannst du so überhaupt Spaß haben?“, „Sex kann man nur mit Alkohol haben“, „Beim Verabreden mit dem anderen Geschlecht muss was getrunken werden“, „Am Abend trinkt man Alkohol mit den Freundinnen und Freunden“, „Zum Essen gehört ein Bier oder Glas Wein an den Tisch“. Zwangsläufig stelle ich die Frage, wie sich wohl Menschen fortgepflanzt und Anlässe zelebriert haben, als es noch keinen Alkohol gab.


Häufig reagieren die Menschen aber auch völlig verunsichert. Selbst Akademiker, Menschen aus Gesundheitsberufen und viele weitere gebildete Personen sind mit solchen Situationen überfordert. Professionelle Stellen haben mir mitgeteilt, dass die Tatsache, dass eine Person nicht trinkt und dennoch Freude im Leben hat, den Menschen um sie herum aufzeigt, dass es ohne Zellgift funktioniert. Dadurch werden konstruierte Glaubenssätze in Frage gestellt, was zu Verunsicherung führt. An dieser Stelle muss ich erwähnen, dass dies natürlich nicht auf jede/-n zutrifft. Viele Bekannte bzw. Freundinnen und Freunde scheinen keine Notiz davon zu nehmen, dass ein Leben ohne Alkohol für mich die beste Entscheidung war und ist. Besonders moderate Trinker/innen, die keinen Vollrausch brauchen, um den Abend als gelungen zu betrachten, haben Verständnis und lassen sich dadurch nicht verunsichern.


Die Situation ist also komplex: Zum einen möchte ich als Alkoholiker Teil einer „normalen“ Welt sein. Zum anderen stellen mich diese Treffen aber auch vor Herausforderungen und die immer gleichen Fragen und Gespräche. Oft wird es gesellschaftlich erwartet, an gewissen Anlässen wie Firmenfeiern, Geburtstagen, Hochzeiten usw. teilzunehmen. Das macht die Situation nicht einfacher. Die Antwort lautet: Ich habe kein Problem damit, dass Menschen Alkohol trinken, doch ich habe ein Problem damit, mich solchen Anlässen in großer Häufigkeit auszusetzen. Die Exposition gewöhnt mich an die Tatsache, dass getrunken wird, und zerrt an meiner Energie. Das wiederum gefährdet meine Trockenheit. Somit gilt auch hier: „Die Dosis macht das Gift“ und „Wähle deine Kämpfe mit Vernunft“!



Dieser Blog dient als Anregung und Inspiration für Menschen, die ein Alkoholproblem haben und informiert allgemein - auf Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen und persönlicher Erfahrung - über die Krankheit. Er ist kein substitut für professionelle therapeutische oder medizinische Hilfe. Wenn Du ein akutes Problem hast oder professionelle Hilfe benötigst, dann wende Dich an einer der dafür vorgesehenen Stellen.

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